versprich mir, dass du meine geschichte nicht vergisst promise me that you will not forget my story


florentine illner







©Malte Sattig



Diese Arbeit ist ein Versuch, sich die Perspektive Manasa Devis, der Schlangengöttin, auf ihrer Suche nach dem Waffenhändler, vorzustellen und zu verkörpern. Was steckt hinter ihrer Suche, was ist ihre Motivation, ihre Perspektive? Wenn sie Briefe an den Händler—oder an uns—schreiben würde, welche Geschichte würden sie erzählen? Ihre zerbrechlichen Worte werden unter dem Einfluss von Feuer und Wasser teilweise unleserlich—ein Hinweis auf die Auswirkungen der aktuellen Umweltkrise.


This work is an attempt to imagine and embody the perspective of Manasa Devi, the snake goddess, in her search for the gun merchant. What is behind her search, what is her motivation, her perspective? If she were to write letters to the merchant—or to us—what story would they tell? Her fragile words become partly unreadable under the influence of fire and water—
invoking the impact of the ongoing environmental crisis.




—In der warmen Sonne verfiel ich in eine Träumerei, und plötzlich trat mir der Gewehrhändler vor Augen, hochgewachsen, breitschultrig, mit einem gelben Turban. Ohne Eile ging er irgendwelchen Geschäften nach. Ich sah, warum er sich hier sicher fühlen konnte, außerhalb der Reichweite Manasa Devis und der Kreaturen und Kräfte, über die sie gebot. Dies war ein Ort, der mehr als jeder andere vor nicht-menschlichen Übergriffen sicher schien: Abgesehen von ein paar Bäumen und Zierpflanzen, war so gut wie nichts zu sehen, das nicht von Menschenhand geschaffen war. Hier war der Gewehrhändler dem Zugriff seiner Peinigerin entzogen—und doch hatte Manasa Devi ihn auch hier erreicht. 

Wie das?

Welche wilde Kreatur konnte in einen solchen Ort eindringen? 

Während ich mir diese Frage stellte, geschah etwas Merkwürdiges; ich glitt, so schien es mir, durch eine Öffnung oder eine Membran, sodass ich die prekäre Lage des Kaufmanns nicht von seinem Standpunkt aus sah, sondern aus der Perspektive seiner Verfolgerin, der Göttin selbst. Und da war die Verfolgung nicht mehr eine Geschichte von schier unbegreiflicher Rachsucht, sondern etwas Subtileres, Zarteres, eine von Angst und Verzweiflung getriebene Suche. 

Ich erinnerte mich an meine Lektüre der bengalischen Kaufmannslegendenwie unpassend das Wort “Göttin” mir in Bezug auf die Darstellung von Manasa Devi in diesen Epen vorgekommen war. “Göttin” beschwört das Bild einer allmächtigen Gottheit herauf, deren Untertanen jeden ihrer Befehle befolgen. Doch die Manasa Devi der Legende war keine “Göttin” in diesem Sinn. Schlangen waren weniger ihre Untertanen als ihre Anhänger; damit sie ihrem Geheiß folgten, musste sie bitten, schmeicheln, überzeugen. Sie war in Wahrheit eine Unterhändlerin, eine Übersetzerin—oder besser noch, ein portavoce, wie die Italiener sagen, eine Vermittlerin zwischen zwei Spezies, die keine gemeinsame Sprache und keine beiderseits verständliche Kommunikationsmittel hatten. Ohne ihre Vermittlung konnte es keine Beziehung zwischen Tier und Mensch jenseits von Hass und Aggression geben. 

Aber eine Vermittlerin braucht das Vertrauen der beiden Seiten, für die sie tätig ist. Wie kann eine Übersetzerin ihre Arbeit tun, wenn eine Seite beschließt, sie zu ignorieren? Und wie hätten ihre Anhänger ihr gehorchen können, wenn sie gewusst hätten, dass diejenigen, an die sie sich um ihretwillen wandte—der Kaufmann und seine Mitmenschen—sich geweigert hatten, ihre Stimme anzuerkennen? Daher die Dringlichkeit ihrer Suche nach dem Kaufmann: Denn wenn er und andere seinesgleichen die Autorität ihrer Stimme leugnen, dann würden all diese unsichtbaren Grenzen verschwinden und die Menschen—wie der Kaufmann getrieben von Profitstreben—würden keine Zurückhaltung gegenüber anderen Lebewesen walten lassen. Das war der Grund, warum der Kaufmann gefunden werden musste, der Grund, warum seine Versuche, sich zu verstecken, um jeden Preis durchkreuzt werden mussten—Die Inseln, S. 194-196


—Warmed by the sun I began to daydream and suddenly the Gun Merchant seemed to appear before my eyes, tall, broad-shouldered, with a yellow turban, walking unhurriedly past on some errand. He glanced at me as he went by and his eyes were clear and untroubled. I could see why he would feel safe here, beyond the reach of Manasa Devi and the creatures and forces that she commanded. This, if any, was a place that would seem to be secure from non-human intrusion: apart from a few ornamental trees and plants there was almost nothing in sight that was not made by human hands. Here surely the Gun Merchant would have known himself to be beyond his tormentor‘s grasp—yet, here too Manasa Devi had managed to reach him.

How?

What sort of wild creature could intrude upon a place like this?

As I was asking myself these questions a strange thing happened; I seemed to slip through an opening, or a membrane, so that I wasn‘t looking at the Merchant‘s predicament from his own point of view but rather from the perspective of his pursuer, the goddess herself. And then the pursuit no longer seemed to be a story of an almost incomprehensible vindictiveness but something more fraught, and even tender, a search driven by fear and desperation.

I remembered my readings of the Merchant legends of Bengal and how inapt the word ‘goddess’ had seemed to me in relation to the depiction of Manasa Devi in these epics. ‘Goddess’ conjures up an image of an all-powerful deity whose every command is obeyed by her subjects. But the Manasa Devi of the legend was by no means a ‘goddess’ in this sense; snakes were not so much her subjects as her constituents; to get them to do her bidding she had to plead, cajole, persuade. She was in effect a negotiator, a translator—or better still a portavoce—as the Italians say, ‘a voice-carrier’ between two species that had no language in common and no shared means of communication. Without her mediation there could be no relationship between animal and human except hatred and aggression.
But an intermediary must, after all, command the trust of both the sides for which she is mediating. How can a translator do her job if one side chooses to ignore her? And why would her constituents obey her if they knew that those she was addressing on their behalf—the Merchant and his fellow humans—had refused to acknowledge her voice? Hence the urgency of her search for the Merchant: for if he, and others like him, were to disavow her authority then all those unseen boundaries would vanish, and humans—driven, as was the Merchant, by the quest for profit—would recognize no restraint in relation to other living things. This was why the Merchant had to be found; this was why his attempts at concealment had to be thwarted at all costs…Gun Island, p.166/167


taumelnd trauen, verschlungen bleiben

2025 Munich, Germany